Worte der Woche – Macht mich Wargaming zu einem besseren Historiker?

Geschichte ist nicht die Wissenschaft dessen, was passiert ist, es ist die Wissenschaft, wer was wann darüber geschrieben hat.

Smallville, Dr. Milton „Brainiac“ Fine zu Clark Kent in seiner ersten Geschichtsvorlesung

 

Eine Art Disclaimer:

Ich bin kein Historiker. Ich bin Naturwissenschaftler und professioneller Besserwisser und habe keine praktischen Erfahrungen im Umgang mit historischen Quellen und geisteswissenschaftlicher Methodik. Und bin erst recht kein ernstzunehmender historischer Wargamer, der sich tief in Konflikte einarbeiten und diese quellentreu simulieren will. Nur damit hier keiner gleich die historisch-korrekte Schnappatmung bekommt. 😀

Aber ich interessiere mich immer schon für Geschichte. Sei es durch bestimmte historische Romane in meiner Jugend, Sachbücher, Lokalgeschichte, Mitgliedschaft in einem von (Geschichts)Lehrern dominierten LARP-Verein und inzwischen auch die unglaubliche Fundgrube des Internets, allen voran YouTube und Netflix. Und um so manchen (tatsächlich examinierten Historiker) YouTuber zu zitieren: Ich mag viele Dokumentationen nicht … mehr.  Weil ich mit den Themen inzwischen in Aspekten vertraut bin und mich dabei erwische, dass ich lautstark meinem Fernseher widerspreche. Und schuld daran ist Tabletop, also Wargaming.

Der kleine Christian und die Militärgeschichte

Schuld sind ja eigentlich mein Bruder, der unzählige selbstgegossene Zinnsoldaten (Siebenjähriger Krieg) hinterlassen hatte und mein Kumpel, der mich auch später auf StarQuest, HeroQuest, Claymore Saga und dann WH40K brachte. Durch den spielte ich auch History Line 1914-18, was mein Interesse am Ersten Weltkrieg weckte. Sein Interesse am Zweiten Weltkrieg fand ich eher nervig. Ganz sicher waren eher oft technische Aspekte der Militärgeschichte und die Begeisterung für Panzer, Schiffe und Flugzeuge nicht mein Fall. Ich kann nicht sagen, welche Aspekte an Geschichte mich stark interessierten, aber es waren meistens nicht die neuzeitlichen Ereignisse nach 1789. Auch wenn ich die durchaus interessant fand, boten mir Antike und Mittelalter mehr. Etliche Jugendsachbücher oder klassische Romane legten bei mir Grundsteine für später. Auch mein Ansatz an Fantasyrollenspiel schuf so manches historisches Wissen.
Als ich ins Tabletophobby rutschte, schreckten mich historische Systeme eher ab. Ich weiß nicht, wann die große Wende einsetzte, aber irgendwann packte mich auch dieses Thema – in der Recherche und am Spieltisch. Nach wie vor empfinde ich in der Populärliteratur Militärgeschichte etwas überrepräsentiert. Ganz im Gegensatz zur deutschen universitären Forschung, die sich mit Militärgeschichte eher schwer tut, auch wenn die durch Hans Delbrück überhaupt erst entstand. Das mag aber auch an meinem Kontakt zu Historikern mit Fokus auf Alltagsgeschichte liegen.
In die entstandene Kerbe hieben dann irgendwann zwei dicke Äxte: Saga und Bolt Action; die dann die Bresche für Warlord öffneten. Sowohl den ersten Hype um Saga, als auch um Bolt Action verpasste ich, da beides in meine Schlussphase von Warmachine fielen. Aber durch die beiden Spiele begann ich mich mit Themen auseinander zu setzen, über die ich vorher nicht nachdachte. Und heute? Heute sind meine Interessen divers geworden.

Ein kurzer Überblick

Dabei fällt mir oft auf, dass sich für mich interessante Themen immer wieder ändern, aber auch einiges fest bleibt.

  • Napoleonik? Finde ich langweilig.
  • Antike? Früher hoch interessant, inzwischen historisch tot analysiert. Die Römer und Alexander bleiben aber interessant, die Bronzezeit eher nicht.
  • Hochmittelalter? Soziologisch sehr interessant, aber die Kreuzzüge reizten mich nie.
  • Der Dreißigjährige Krieg? Hoch faszinierend, speziell durch meine Heimat, die Kurpfalz.
  • Das achtzehnte Jahrhundert und die Briten? Uninteressant, bis auf die Jakobitenrevolte und die karibischen Bukaniere.
  • Frühmittelalter? Himmel, was hat mir Saga hier die Augen geöffnet, was es neben Karl dem Großen zwischen Völkerwanderung und den Kreuzzügen alles gab.
  • Die Zeit zwischen Rosenkriegen und Großem Nordischen Krieg? Schon immer interessant, aber erst Warlord machte mir diese Klammer bewusst.
  • Japan der Sengoku-Zeit? Nur durch das Brettspiel Shogun. So toll sind Samurai auch nicht mehr.
  • Der Erste Weltkrieg: Langweilig, trotz einiger Innovationen.
  • Wikinger? Völlig überschätzt, aber ihre Widerparte mag ich. Interessant, was hier auf den britischen Inseln alles passierte. Danke, Saga!
  • Der Zweite Weltkrieg? Viel zu populär, aber durch die Menge an Quellen und Diskussionen doch zunehmend interessant.

Bei vielen dieser Themen diente die Auseinandersetzung mit Tabletopbüchern dazu, meine Meinung zu differenzieren. Die allgemeine Popularität von Napoleonik, Amerikanischem Unabhängigkeitskrieg und Sezessionskrieg kann ich nicht nachvollziehen, vor allem auf der spielerischen Ebene, auch wenn die Epochen und Konflikte in der großen strategischen Ebene ihren Reiz haben. Aber alleine die viel zu kurzen Fraktionsbeschreibungen im ersten Saga-Buch brachten mich dazu, mich mit der entsprechenden Geschichte tiefer auseinander zu setzen. Vorher hatte ich noch nie von Strahclyde gehört und nun kann ich genau den Unterschied zwischen Angelsachsen und Anglodänen (und ihrem Einfluss auf die englische Sprache) benennen. Osprey hat mit seinen Publikationen durchaus einen guten Ruf und mit einigen Zusammenfassungen und Fakten im Rahmen von Warlord-Büchern neue Interessen geweckt. Dennoch sollte man sie mit einem Körnchen Salz lesen. Auch wenn ich schon vorher über die Verschränkungen zwischen Kurpfalz und England und so dem Dreißigjährigen Krieg und dem englischen Bürgerkrieg wusste, machten mir verschiedene Pike&Shot Bücher erst die Dimensionen und Begrifflichkeiten klar. Doch erkannte ich oft die Intention des Autors im Text.

Machte mich Wargaming zu einem besseren Historiker?

Was macht einen Historiker aus? Interesse, Methodik und Quellenarbeit. Vor allem auch das quellenkritische Arbeiten, bei dem man hinterfragt, wer diese Quelle wann und vor allem weswegen verfasst hat.  Und genau die Widersprüche und Unterschiede in verschiedenen populären Quellen und Wargaming-Texten brachten mich dazu, tiefer zu recherchieren. Deswegen kann ich auch inzwischen manches (gut gemachte) YouTube-Video nicht mehr sehen, ohne meinem Fernseher zu widersprechen und die Autorenintention zu hinterfragen.
Das geht inzwischen so weit, dass ich für meine Bolt Action-Kanadier nicht nur beschlossen habe, dass sie unbedingt einen Sexton und einen Ram Kangaroo brauchen, weil diese halt kanadische Designs waren, sondern sogar recherchiere, welche Einheit wo eingesetzt wurde, ob es kanadische Fallschirmjäger gab und ob sie nicht vielleicht doch  Churchill VII-Panzer hatten.

Aus: Pike&Shot Rulebook – Digital Version; Steven Morgan 2012; Warlord Games.

Ohne die Pike&Shot-Texte hätte ich mich nicht mit der Evolution des spanischen Terzios zum holländischen oder später schwedischen System beschäftigt. Und hätte dann weniger Spaß gehabt, mich über ein Video zur Überlegenheit des klassischen Terzios „aufzuregen“. Denn auch die „elitäre“ spanische Armee der Niederlande wurde von der Feuerkraft der niederländischen Ordonanz geschlagen. Und umgekehrt hätte ich dann nicht einen Tag später ein anderes Video über die taktischen Revolutionen der niederländischen Ordonanz kritisiert. Denn hier wurden wieder einige ungenaue bis falsche Dinge über die „Ungeordnetheit“ der spanischen Terzios behauptet und die Weiterentwicklung der Schweden unter Gustav Adolf vernachlässigt.
Und so kann ich auch leicht in einem eigentlich harmlosen und interessanten „Was wäre wenn?“-Video zu einer Weiterführung des Zweiten Weltkriegs zwischen Westallierten und der Sowjetunion und den möglichen Kernwaffenabwürfen auf russischem Gebiet die Behauptung einordnen, wie verheerend ein Besuch der alliierten Bomberflotte könnte.
Ich kann immer noch ungenaue Dokumentationen genießen, aber mit besserer Kenntnis und Interesse fallen mir viel häufiger Unstimmigkeiten, Fehler und Autorenintentionen auf.

Seid ihr durch das Interesse an Geschichte ans Miniaturenschubsen gekommen oder haben euch die Miniaturen erst dazu gebracht, euch mit Geschichte zu beschäftigen? Oder heißt für euch Historik die Horus Heresy und ihr studiert nur das Lexicanum? Ich bin gespannt auf eure Meinungen!

Über Christian

Christian begann als Gastautor und bissiger Kommentator, wurde dann Redakteur im Blog und gehört inzwischen zu den "Großen Alten" Trotzdem ist es immer noch für sein zu schnelles Reden bekannt und für seine Klugkoterei berüchtigt. Obwohl er kein Historischer Wargamer ist, ist er einer der "HistoSpacken" der Redaktion. Sein Fokus im Hobby liegt auf Freebooter's Fate, Summoners, Geländebau (aktuell gerade 1:1 Maßstab) und Hobbyphilosophischem. Ganz allgemein spielt er lieber Skirmischer als Rank&File-Massensysteme

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19 Comments on “Worte der Woche – Macht mich Wargaming zu einem besseren Historiker?”

  1. Vielen Dank für deinen Einblick… Bei mir war es so, dass ich mich durchs Püppchen-Malen erst für Geschichte interessiert habe. Pikten? Dänen? Wikinger? Sachsen? – Sehen doch alle gleich aus. Also „musste“ ich mich zwangsläufig mit denen beschäftigen, damit ich erst einmal den Unterschied begreife. In welcher Form man die Informationen dann aufnimmt ist ja auch sehr vielseitig. Ich habe mir mehrere Dokumentationen während des Malens angehört und mir so ein wenig Halbwissen angeeignet.

  2. Als begeisterter Leser der Wargames Illustrated, die sich ja überwiegend mit historischen Spielen beschäftigt, muss ich schon sagen, dass das Hobby mich näher an Geschichte gebracht hat. Ein gewisses Interesse war zwar schon seit der Schulzeit vorhanden, aber einen Anreiz mich auch mal wieder tiefergehend insb. mit Konflikten (denn darum geht es ja im TT dann doch eher) auseinander zu setzen, habe ich durch das Hobby gewonnen.
    So bin ich schon auf den ein oder anderen Konflikt aufmerksam geworden, den ich vorher noch überhaupt nicht kannte und habe dann aus weiterem Interesse zumindest mal Wikipedia gewälzt und teilweise sogar das ein oder andere Buch dazu gelesen 😉
    Auch wenn ich bei weitem nicht jede Epoche als TT spielen will oder werde, so bietet mir trotzdem das Hobby (ob jetzt durch Messen, Releases oder Publikationen) oft schon einen Einstieg bzw. Anreiz mich einfach mal mit einer Epoche etwas zu beschäftigen.

  3. Ein weites Feld!
    Für mich war tatsächlich in der Oberstufe (die neuere) Geschichte eins meiner liebsten Fächer. Auch wenn so einiges durch den Lehrplan totdiskutiert wurde.
    Irgenwann während des Studiums bin ich dann über De Bellis Antiquitates (DBA) ‚gestolpert‘, was mein geschichtliches Interresse wieder angefacht hat.

    Wie bei allem was mit Politik und der Berichterstattung zu tun hat, muß man immer ein gehöriges Mißtrauen wallten lassen. Daher passt Dein Punkt bezüglich der Intention des/der Autoren sehr gut hier hin.
    Aber ich würde mir, auch wenn ich mich mit historischen Ereignissen schon vielfach auseinander gestzt habe, kaum die Bezeichnung als Historiker geben wollen. Muß ich aber auch nicht. In erster Linie will ich spielen und unterhalten werden.
    Und zuviel Sachverstand kann durchaus auch mal sperrig sein: Bspw. tue ich mich bei 40K schwer, die Panzer entspannt auf mich ‚wirken‘ zu lassen. Zu schnell sehe ich (leider), dass die in einer realen Situation keine 5 Meter weit im Gelände kämen. Oder das der (lebensnotwendige) Nachschub nie ankommen würde, da die Transporteinheiten fehlen.

    1. Naja, aber Nachschub ist ein Faktor, der nach meinem Wissen in kaum einem Tabletop simuliert wird, dass ist dann eher das Metier von GrandStragtegy und CoSimms. Für das typische Gefecht ist er eher von geringerem Belang.

      Auch beschäftigen sich nur wenige (und nicht unbedingt die Populären) Spiele wenig mit den Friktionen bei der Befehlsausführung. Auch wenn es populärer wird.

  4. Spannender Blogbeitrag…

    Also bei mir war es tatsächlich ein Tabletop System was mir im richtigen Zeitpunkt übern Weg lief. So um 2009/2010 war ich in einem Hobbytief. 40k wollte trotz ursprünglich großen Ambitionen nicht mehr richtig zünden (ich hatte mit der 3. Edition angefangen und in den nuller Jahren eine längere Pause). In dieser Zeit beschäftigt ich mit Regeldesign und Indie Regelwerken.

    Und durch einen Forenbeitrag in der Gw-fanworld bin ich damals auf das Regelwerk von Ambush Alley Games gestoßen. Force on Force wurde in Zusammenarbeit mit Osprey Publishing als hochwertiges Hardcover Buch vorgestellt.

    Thema: Modern Warfare (konkret ausgedrückt – Regeln für Konflikte nach dem 2. Weltkrieg)

    Neben dem Thema sprachen mich auch die Regeln an und das es ein System ohne feste Figurenrange ist. So stieg ich 2011 in dieses System ein und sammelte in Folge alle Szenariobüchern zu diesem System. Die Bücher beleuchten neben aktuelleren Konflikten wie dem Irakkrieg von 2003 und den Krieg gegen die Taliban in Afghanistan auch Vietnam oder ein Cold War gone Hot Settings.

    Ich war auch schon in meiner Schulzeiten ein sehr geschichtlich interessiert Mensch aber durch dieses System hatte ich endlich eine Möglichkeit geschichtliches Wissen und Wissensdurst mit meinem Hobby zu kombinieren.

    In den letzten 9 Jahren hab ich mich neben vielen weiteren Indie Systemen in diesen Bereich sehr ausgiebig mit COIN Operationen, operativer sowie hybrider Kriegsführung, Doktrinen verschiedener Länder und Militärtheorie im allgemeinen befasst (u.a. auch Clauswitz, Jomini, Sun Tzu).

    Auch wenn der amerikanische Bürgerkrieg mich durchaus interessiert und die technischen und militärischen Entwicklungen während des 1. und 2. Weltkriegs die heutige Kriegsführung immer noch in Teilen prägen, sind es immer noch das aktuelle Zeitgeschehen was mich sehr interessiert. Auch wenn es sich mittlerweile noch stärker auf potenzielle zukünftige Konfliktherde und Kriegsgebiete richtet.

    Der Reiz liegt für mich im Verstehen von Zusammenhängen, da man sich durch historisches Wargaming sehr viel intensiver mit der jeweiligen Epoche der Geschichte auseinandersetzt. Ich seh mich deswegen trotzdem nicht als Historiker, dafür müsste man sehr viel mehr Zeit aufwenden und sich noch intensiver mit der Materie befassen. Trotzdem hab ich eine Menge fundiertes Fachwissen angeeignet und mir eine kleine Sammlung an Hintergrundmaterial zusammengestellt.

  5. Tja… Ich oute mich dann mal als Historiker. Finde es grundsätzlich immer gut, wenn Menschen sich mit Geschichte befassen. Historiker wird man dadurch sicher nicht, bewegt sich aber sicher anders durch den Alltag als vorher.
    Bei mir kam das Interesse an Figuren auch früher schon deutlich nach dem Interesse an Geschichte und mit dem historischen Wargaming habe ich erst gegen Ende meines Studiums begonnen, auch wenn ich vorher schon Modelle besessen habe.
    Epochal bin ich wenig festgelegt. Es gibt ein paar Eckpunkte (Nichts hinter Indien. Wenn man vorne ne Kugel in den Lauf tun muss, hat es gute Chancen, dass ich es spielen will.), aber das sind auch keine verbindlichen Regeln.
    Dass dem amerikanischen Bürgerkrieg nichts abgewonnen werden kann, kann ich freilich gar nicht nachvollziehen. Als 10jähriger wünschte ich mir zu Weihnachten „Für die Freiheit sterben“ von James McPherson. Wer das als Wargamer gelesen hat, will den ACW auch spielen.
    Ich hatte dazu auch mal was erzählt:
    https://youtu.be/NyfdtGqD7zI

  6. Die Bronzezeit tot analysiert?

    Die Kelten sind ein Geheimnis für sich, die Mesopotamier gehören für mich schon zur Top-Ten, nur weil sie das Bier erfunden haben! Auch die Klimaereignisse während dieser Zeit bieten hochbrisante Themen zum Spekulieren (z.B.: Die Minoische Eruption) 😉

    Beim Dreissigjährigen Krieg (insbesondere in Bezug auch auf die große Zeit der Hexenverfolgungen) gehe ich mit dir konform!

    Aber um eine Antwort auf deine Frage zu geben, ob uns das Wargaming zu besseren Historikern macht?

    Nein, nein und nochmals nein! Denn speziell aus der eingefleischten GW-Wargaming-Szene darf ich mir des Öfteren historische Abhandlungen „Boob-Plates“ und sonstigen Unsinn anhören!
    Einzig das Interesse an historischem Wissen macht dich zu einem besseren Historiker!

    1. Naaaa – das ist ein bisschen wie zu behaupten, dass nur das Interesse an Büchern einen Buchhändler ausmacht. Es ist wesentlich, aber es gehört schon mehr dazu.
      Aber Danke, dass du auf meine Fragestellung eingehst. Ich stimme dir zu, historisches Wargaming macht noch keinen Historiker. Die damit einhergehenden Beschäftigung, kann aber die Methoden schärfen. Muss es aber noch lange nicht…

  7. Spannende „Worte der Woche“, danke dafür!
    Nach längerer Pause habe ich jetzt endlich einmal wieder Zeit, auch etwas zu schreiben …
    Also, ich bin ebenfalls Historiker, Spezialgebiete (ausgehende) Römische Republik, frühes Mittelalter & ein bisserl auch Frühe Neuzeit.
    Bei Film- und Fernsehdokumentationen (noch schlimmer: sogenannte Dokudramen) geht es mir meist wie Christian – ich möchte den Fernseher oder den Rechner gegen die Wand schleudern. Damit das nicht passiert, nehme ich die Sachen lieber auf und schalte dann, wenn’s mir beim Anschauen echt zu blöd wird, auf schnellen Vorlauf. Wobei ich in letzter Zeit auch einmal positiv, sogar von einem Semi-Dokudrama (ich vermeine mich zu erinnern, daß es vom Hessischen [?] Rundfunk produziert worden war; es ging jedenfalls um das römische Köln und war gar nicht schlecht gemacht), überrascht worden bin.
    Hat das bei mir Einfluß auf die Spiele? Insofern ja, als ich zumindest im Bereich Tabletop oder Rollenspiele nur Sachen aus dem Fantasybereich, eventuell (aber da bin ich noch dabei, mir einen Überblick zu verschaffen) noch Steampunk, spiele. Wenn ich überhaupt zum Spielen komme, gebricht es mir doch immer mehr an freier Zeit.
    Momentan stocke ich allerdings meinen Schandhaufen wieder kräftig auf. In der vergangenen Woche traf die Lieferung des Kickstarters „Forgotten World“ bei mir ein, und seither sitze ich fast jeden zweiten Tag am Basteltisch und fertige (hauptsächlich; allerdings nur humanoide) NPCs für hoffentlich doch wieder irgendwann zu spielende HeroQuest-Abenteuer an – Bäuerinnen & Bauern, Händler- und -rinnen, neutrale Stadt- und Dorfbevölkerung … all sowas eben. Und irgendwann werde ich die doch anmalen, hoffe ich …

    1. Aaahhh, Don, du lebtst!!!

      Forgotten World Kickstart ist bei mir schon Anfang Dezember gekommen, aber jetzt erst das Folk Rabbel
      Netter Tipp – aus den untoten Bauern kann man einen sehr tollen Wladimir Iljitsch Uljanow (mit passenden Handwerksgeräten) bastelen – der ist dann nicht tot, sondern riecht nur komisch

      Doku-Dramen: och, die können ganz lustig sein. Darf nur nicht zu ernst nehmen.
      Manche HistoryBuffs regen sich z.B. über die historischen Fehler in Kapur/Hirst Verfilmung Elisabeth auf – ich genieße es da einfach Cate Blanchett zuzugucken und die Epoche zu sehen.
      Wenn die Darstellung dann aber für bare Münze genommen wird, ja, dann entsteht Fehlbildung.

      1. Dochdoch, Unkraut vergeht nicht!
        Ich hab‘ mir die gemeinsam schicken lassen, daher erst jetzt.
        Aha, einen Zombie-Lenin? Welchen Kopf empfiehlst Du dafür?
        https://ksr-ugc.imgix.net/assets/022/693/840/142f792396e1f79660f17305eb7475cf_original.jpg?ixlib=rb-2.1.0&w=680&fit=max&v=1538039062&auto=format&gif-q=50&q=92&s=ac391aadd332e27348260770ff38476f
        Sichel sehe ich, Hammer muß ich mir allerdings selber basteln … schon in Planung (allerdings ohne Wladimir Iljitsch).
        Nö, Verfilmungen sind sowieso in Ordnung, da habe ich nix dagegen einzuwenden. Aber solche vorgeblichen Dokumentationen mit diesen furchtbaren Spielszenen … da winde ich mich vor Schmerzen!

  8. Hi, ich bin Historiker. Und man wird kein besserer Historiker durch Wargaming. Man wird ein Historiker durch wissenschaftliches Arbeiten mit historischen Quellen, wissenschaftlicher Literatur, forschen und Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs.

    Und nein, Youtube und Netflix Dokus sind nix was darunter läuft. Das Zitat am Anfang ist nett, aber Falsch. Historik ist ein Forschungsbereich der Geschichtswissenschaft der sich mit der Theorie der Geschichtswissenschaft und Geschichtsschreibung befasst. Das ist vermutlich in der Übersetzung verunglückt. History zu Historik übersetzt, eigentlich wäre das Geschichte die bessere Übersetzung. Historik übersetzt man im englischen meistens mit metahistory.

    Und ja, ganz herablassend merkt man, dass das Verständnis für den akademischen Hintergrund etwas fehlt.
    Das ist ein wenig auch ein Phänomen was im LARP/Living History/Reenactment auftritt. Die Leute gehen davon aus, dass sie DEUTLICH mehr wissen, als der Nicht-Larper/Living History/Reenactor weil sie ein Gummischwert halten, was handgenähtes tragen oder mal Buhurt/Huscarl gekämpft haben.
    Und, ne. Das ist selten der Fall, die Leute sind viel zu quellenunkritisch, zu unimpirisch und überschätzen ihre eigene Wahrnehmung/Wissen/Schlußfolgerung meistens um ein vielfaches.

    Kleines Beispiel?
    Guck dir eine Saga Figur an. Wieviele davon tragen einen Thorshammer? Tja, wir wissen bis heute nicht ob die als Halsschmuck getragen wurden. Sie tauchen überproportional als Grabbeigabe auf, da vor allem bei Frauengräbern (!) und ich meine das. Und von der Position KANN es ein Halsschmuck sein. Oder ein Schmuckbesatz auf einer Kleidung. Es gibt ein paar Funde die vom Aufbau aussehen, als wäre da ein Aufhängung um den Hals möglich. Aber ob das im Leben getragen wurde? Die Wahrnehmung ist halt gefährlich wenn man dran denkt, dass wir zum Beispiel mit Anzügen begraben, manche Kulturen mit Totenkleidern, nackt oder mit bestimmten Kleidungsstücken.

    Der Historiker ist da auf dem Standpunkt: Wir wissen es nicht, das und das sind Theorien. Hobbyisten neigen da überproportional zu sehr schnelleren und definitiveren Schlüssen.

    Und Wargaming tickt da genauso.

    Wenn man sich für Geschichte interessiert, empfehle ich ein Sachbuch mit Quellenangaben. Hat es keine, ist vermutlich populärwissenschaftlich oder pseudowissenschaftlich. Muss nicht falsch sein, aber die Wahrscheinlichkeit ist deutlich größer.

    1. Also LARP/Living History/Reenactment ist wahrlich nicht dasselbe! LARP und auch Reenactment haben im Allgemeinen nicht den Anspruch 100%-ig historisch korrekt zu sein. Im Reenactment gibt es ja auch zurecht den Unterschied zwischen dem „Schaukampf“, oder auch der von dir angesprochene „Buhurt“ und dem „Historischen Fechten“, obwohl Letzteres eben auch schwierig darzustellen ist, da eben die Quellen nicht immer vollständig oder nicht genügend detailliert beschrieben worden sind.
      Kleines Beispiel?
      Ein Johannes Liechtenauer hat niemals selbst etwas Überliefertes aufgeschrieben und was über seine Fechtlehren aufgeschrieben wurde ist nur in vielseitig auslegbaren Merkversen späterer Fechtmeister notiert worden. Auch hier unterscheiden sich die Darstellungen der einzelnen Fechtmeister, obwohl sich alle auf Liechtenauer beziehen!

      Mit Living-History-„Spezialisten“ habe ich auch so meine lieben Probleme! Viele „historisch korrekte“ Gestalten dieser Szene sind der Meinung, dass eben z.B. kein Gugel, kein Schmuck u.s.w. getragen werden dürfe, da nichts von dem hunderprozentig nachgewiesen werden konnte! (Der Gugel wurde vielleicht garnicht auf dem Kopf getragen, Thors Hammer wurde vielleicht garnicht um den Hals getragen, Nur die Toten wissen es). Hier wird garkein Raum für Spekulationen gelassen und ist weder zielführend, noch richtig! Gefährlich ist dann natürlich (da stimme ich dir zu), wenn man mit dem Halbwissen (bzw. den Spekulationen) hausieren geht, als wenn es die, in Stein gemeißelte Wahrheit wäre! Das tun wir als Mittelaltergruppe auch nicht und man hört trotzdem Kommentare, dass man dann am Besten garnicht auf Märkten auftreten solle, obwohl es dort weder um Authentizität noch um historische Vollständigkeit geht!

      Was du mit fehlendem „…Verständnis für den akademischen Hintergrund“ meinst ist mir nicht ganz klar! Ich denke du wirst hier einige Akademiker finden! Einen akademischen Grad hat man nicht nur in deinem Fachgebiet! Davon abgesehen stimme ich dir aber in vielen Punkten zu! Noch als kleine stichelnde Anmerkung meinerseits: Das Wort, welches du suchst ist „empirisch“!

    2. Vielen Dank an euch alle für die rege Diskussion! Das Wargaming keinen Historiker macht, dem stimme ich ja zu, auch wenn manche Gamer sich dafür halten 😀

      Tim: Danke für die Anregung, ich habe das Zitat angepasst.
      Dir muss es wahrscheinlich so gegangen sein wie mir, als mir ein Informatiker mal von „seltsamer Materie“ erzählte (und ihre Rolle für Warpantriebe), bis mir klar wurde, dass er baryonische Materie mit „strange“-Quarks meinte 😀

  9. Hey Christian!
    Toller Artikel. Finde ich sehr gut das Thema mal in der Form aufzugreifen und hier was drüber zu schreiben. Bei mir ist das zwar schon ne ganze Weile her mit dem Einstieg ins historische Tabletop, aber um der These deines Artikels zu folgen: Es hat mich zu einem „besseren“ Historiker gemacht…? Joah? bzw würde ich eher sagen: es hat mich zu einem historisch mehr Interessierten gemacht.
    Man fängt oft automatisch an, sich tiefer mit der Materie zu beschäftigen, die einen für den Spieltisch interessiert. Das sind Faktoren die sich gegenseitig motivieren. Man liest mehr über das was man malt und spielt, und man malt mehr, weil man tiefer ins Thema kommt durchs Lesen und davon Motivation bezieht.
    Um mal deine These umzuformulieren: durch historisches Tabletop, fängt man an mehr Ahnung von Geschichte zu haben. Das auf jeden Fall.

    Danke für deinen Artikel, gern mehr in der Richtung!

    Grüße
    Wraith

    1. Danke für die liebe Rückmeldung, das motiviert ebenso sehr wie die fachliche Kritik. Deine umformulierte These unterschreibe ich voll.
      Nachfrage und Klarstellung: Mehr zum Thema Hobby-Philosophisches oder mehr zu Historischem ???

      1. Wenn du deine Nachfrage an die Allgemeinheit richtest, würde ich antworten. Auf jeden Fall beides. Es gibt genug Hobby-Philosophisches, dass für jeden Tabletopper unabhängig vom Spiel und Setting durchaus Relvanz besitzt. Und historisches kann auch nie schaden, sei es nun entsprechende Systeme, Mäßstäbe, Figuren-Hersteller, etc.

      2. Ja, gern beides. Mich freut es aber immer besonders, wenn das Thema historisches Tabletop mal mehr in den Fokus kommt. Habe ja immer mal wieder den Eindruck, als würden viele Leute da eine Art „Trennung“ sehen zu jedem anderen Nicht-historischen Tabletop. Hab dazu ja auch schon Videos gemacht.
        Finde es gut, wenn das auch hier auf dem Magazin ab und zu seinen Platz findet.

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