Bretthart: Domain

 

Man sieht ein Bild der Schachtel, der Pappmarker, des eher labbrigen Spielplans und die schwarz-weiße Anleitung und weiß direkt, welcher Geruch einem beim Öffnen einer solchen Schachtel erwartet. Kein Moder, kein Muff, auch nicht direkt unangenehm – vorausgesetzt eines tierfreien Nichtraucherhaushalts, erwartet uns auch hier das wohlige Œuvre mehrfach gestorbener Drucksachen. Bei Kleinanzeigen habe ich diese Schachtel entdeckt und Michi hat es mit bei einem befreundeten Sammler besorgt. Danke dafür!

Der englische Titel “Domain“, der Name der Firma “Hobby Products” sowie Aufmachung und Artwork lassen einen direkt an England und die 80er/90er-Jahre denken. Aber Pustekuchen! Die Firma kam aus Deutschland, das Spiel wurde zweisprachig deutsch und englisch ausgeliefert aber sein Vorbild aus Nottingham kann es nicht ganz verheimlichen.

Hobby Products

Nur ein kleiner Info-Happen an dieser Stelle. Die Firma existierte von 1984 – 2006, Firmensitz Oberhausen. Über die Lokalisierung für Rollenspielmaterial verlagerte man Ende der 80er/ Anfang der 90er Jahre den Schwerpunkt in die Produktion von Zinn-Miniaturen. “Metal Magic” war eine generische Reihe, neben Perry Rhodan und vor allem aus DSA wurden Lizenzminiaturen hergestellt. Für Tabletopper dürfte die Schmiede am ehesten für ihr 15mm-Fantasy-System “Demonworld” bekannt sein, das sie entwickelt und produziert haben. Die Lizenz ging letztendlich an Ral Partha Europe, bei denen man auch heute noch neben alten Figuren für DSA auch Demonworld Minis findet. Die Reihen “Spacelords” und “Dunwich Detectives” findet man noch bei eM4 Miniatures. Gerade für die Reihen Demonworld und Spacelords hat auch Werner Klocke, den wir alle ja hauptsächlich für seine Firma Freebooter Miniatures kennen, mehrere Jahre viel gesculpted. Über FanPro auch diverse Miniaturen für Das schwarze Auge bzw. Armalion. Als Autoren für Domain werden Edward Beck, Ingo Martin und Josef Ochmann genannt – letzter war wohl hauptsächlich als Modellierer tätig.

Domain

Aber zurück zum eigentlichen Thema dieses Blogs. Wir krallen uns heute einen alten DungeonCrawler. Um das Spiel direkt zeitlich einzuordnen: es ist von 1991. Das in einem anderen Blog vorgestellt Urgestein “Dungeon!” zu deutsch “Labyrinth” ist im Original aus dem Jahr 1975. Das sehr ähnliche Dungeonquest von Games Workshop aus dem Jahr 1985 (Original “Drakenborgen” aus Norwegen, in Deutschland als “Drachenhort” erschienen) und unser alle Genre-Primus Heroquest kam erstmals 1989 auf den Markt. Damit schwimmt Domain mit der Erfolgswelle von Heroquest, dass Rollenspiel-Light in die Jugendzimmer Deutschlands gebracht hat und versucht sein Stück Kuchen einzufahren. Warum auch nicht? Mit den Entwicklungen im Rollenspiel- und Miniaturen-Bereich hatte man ja schon einige Erfahrungen sammeln können.

Das Ziel des Spiels ist kurz erklärt: geh in den Dungeon, töte die Monster, mache Beute, dringe in den Kern des Labyrinths vor und finde einen der vier sagenhaften Schätze des Zauberers Algrim. UND versuche wieder raus zu kommen. Willkommen im Genre der DungeonCrawler!

Das Material

Das Spielbrett ist ein schmuckloser aber nützlicher Faltplan. Im Groben geteilt in vier Viertel, in denen sich für jeden der ein bis zu vier Spielern ein Einstiegsbereich in den Dungeon befindet. Der Clou: der Dungeon baut sich erst Schritt für Schritt auf. Dazu gibt es 95 Bodenplatten von je mindestens 3×3 Feldern Größe, die zufällig beim Verlassen eines bereits vorhandenen Teils angelegt werden. Unterschieden wird in Kartenteilen für den Außenbereich, einen inneren Bereich, den Vorkammern und dem eigentlichen Schatzraum. Durch nicht weniger als 380 Marker werden diese Bodenteile mit Schätzen, Fallen, Monstern, Zaubermaterialien undundund ausgestattet. Neben einem universellen Charakterbogen zum Festhalten diverser Attributwerte gibt es noch 10 Standies mit Charakteren aus Pappe. Leider keine Miniaturen.

Jeder für sich?

So betritt jeder Spieler für sich den Dungeon, geht je Runde zwei Felder weit und trifft auf die Objektmarker unter denen sich alles Mögliche befinden kann. Kämpfe werden wie üblich mit W6-Würfen + Angriffswert gegen einen Verteidigungswert abgehandelt. Im Gegensatz zu z. B. Heroquest verbleiben Monster an Ort und Stelle, es gibt zusätzlich einen Initiativewert, der bestimmt, wer zuerst zuschlagen darf, der auch gleichzeitig die Erfahrungspunkte des Charakters widerspiegelt. (Monster töten und neuen Raum entdecken bringen jeweils einen Punkt bis maximal 50). Gefundene Ausrüstung nimmt man an sich (Gewicht beachten!), Mit Zauberbüchern und den passenden Zutaten kommt Magie ins Spiel, gefundene Schlüssel passen nur auf die entsprechend nummerierte Tür. Wichtig dabei zu erwähnen ist, dass man, wenn man ein Monster besiegt oder einen Gegenstand aufgenommen hat, das entsprechende Plättchen auf dem Spielplan gegen ein Blanko-Plättchen ausgetauscht wird. Besiegt man ein Monster z. B. nicht, gilt es auch, sich dessen Position oder die Lage von Fallen und Türen zu merken, um später auch den Rückweg antreten zu können, denn die Marker werden verdeckt wieder zurück gelegt.

Außerdem hat jeder Abenteurer einen Glückswert, den man bei jedem erlittenen Schaden herausfordern darf. Man startet mit einem Wert von 10, den man mit 2W6 unterwürfeln muss. Gelingt es, passiert nichts, scheitert man, erleidet man nicht nur die Verletzung sondern senkt auch den Glückswert um 1. Proben auf Glück werden demnach im Verlauf immer schwerer. Spezielle Charakterklassen gibt es dagegen nicht. Auch wenn die Bilder der Papp-Standies unterschiedlich sind, starten alle Charaktere mit den gleichen Attributen und Möglichkeiten zur Entwicklung.

So findet eine starke Progression statt – man steigert sich kontinuierlich, verbessert seinen Charakter mit gefunden Waffen und Rüstungsteilen, um sich für die stärkeren Gegner in der Mitte des Labyrinths zu wappnen. Dabei ist allerdings jeder auf die sich gestellt und man spielt mehr oder weniger alleine vor sich hin. Allein die Möglichkeit zur Interaktion mit den Mitspielern ist extrem selten: ein oder zwei Zaubersprüche können allen Spielern in einem Raum schaden. Zweikampf, Tausch von Gegenständen oder Kooperation sind nicht vorgesehen.

Remake, Remix oder Ripp-Off?

Damit ähnelt es sehr stark dem 1985 bei Games Workshop unter dem Namen “Dungeonquest” erschienenen Titel bzw. 1990 als Drachenhort bei Schmidt Spiele. Zufällige Räume, Schatz in der Mitte des Labyrinths – statt mit Markern arbeitet man hier mit Karten und auch mit Charakterrassen und -klassen. Jedoch zeigt Domain mehr Tiefgang. Der Charakterbogen ist kleinteiliger, die Mechaniken bilden mehr Einflüsse auf den Abenteurer ab. Die Varianz der auffindbaren Marker ist größer, das Labyrinth verzwickter und mit dem Glücks- und Initiativewert kommen weitere Attribute ins Spiel.

Ein Beispiel für die erweiterte Komplexität: Im äußeren Dungeon wird zwischen hellen und dunklen Gängen unterschieden, für die es eine Laterne zum Beschreiten braucht. Spezielle Windfallen können des Licht der Laterne löschen und ab hier bewegt man sich zufällig durch das Labyrinth, bis man es entweder schafft, die Laterne wieder zu entzünden oder über eine Treppe in helle Bereiche zu gelangen. Ähnlich komplex: um zaubern zu können muss man nicht nur Spruchrollen (Wegwerf-Artikel) oder nummerierte Zauberbücher finden. Nein, man muss auch noch unterwegs auf seinem Weg die passenden Zutaten finden und letztendlich noch eine Würfelprobe bestehen. Den Regeltext der Sprüche findet man in der Schnellreferenz oder dem  40-seitigen Regelbuch (je 20 Seiten deutsch/englisch).

Fazit

Empfohlen ab 10 Jahren, hätte mich das Spiel in diesem Alter wohl überfordert, ein paar Jahre später hätte mich aber wahrscheinlich die Immersion gepackt. Der Zufallsfaktor ist hoch! Findet man viele Gegenstände, wenige Fallen, passende Schlüssel zu Türen, Zauberzutaten und Co. kann der Sieg möglich sein – beim Wühlen durch Netzkommentare scheitern aber wohl viele Spieler vor allem auf dem Weg nach draußen. Positiv ist die extreme Flexibilität des Spiels. Die Lösung, alles im Dungeon über austauschbare  Marker zu lösen, macht es unvorhersehbar und fies. Durchaus aber auch spannend und skurril und erzählt damit eigene Geschichtchen. Das muss es allerdings auch, denn die Mission ist immer die Gleiche: geh rein, kämpf Dich durch und finde den Schatz. Die, zugegeben, auch im Primus Heroquest nur rudimentären Storys, fehlen hier völlig. Zwar braucht man dadurch auch keinen Overlord, spielt dafür aber mit den restlichen Spielern als Gruppe gemeinsam. Beides hat seinen Reiz, aber müsste ich mich zwischen beiden Spielen entscheiden, würde ich Heroquest bevorzugen.

Nicht nur das gemeinsame Spiel gefällt mir besser, auch die Lösung der Dungeon-Generierung bietet mehr erzählerische Möglichkeiten. Der Bodenplan ist dadurch zwar festgelegt, aber für Erst-Spieler nicht weniger neu. Domain ist nicht entspannt. Man muss sehr viel Mikro-Management betreiben. Die Marker-Lösung muss einem gefallen. Im Grunde finde ich die Marker auch nicht schlecht, aber Miniaturen sind gerade für die junge Zielgruppe ein unschlagbarer Kaufgrund. Mit der unnötig komplizierten Zaubermechanik und Feinheiten in vielen Bereichen (Hell/dunkel, Initiative, von den Fallenmechaniken oder besonderen Räumen wie dem Totenkopf- oder Pentagramm-Raum ganz zu Schweigen) wird das Spiel nerdig, komplex und sperrig. Da sind die Karten aus Heroquest die elegantere und schönere Lösung. Spätestens 1995 mit dem Erscheinen von Warhammer Quest wird Domain obsolet aber mit seinem Retrocharme und Eigenständigkeit ist das Spiel aus heutiger Sicht kein Totalausfall für mich. Domain ist aber vor allem vieles nicht: für die Jugend ist das Material nicht ansprechend genug, für Rollenspieler fehlt die Story, Brettspielern dürfte vor allem die Interaktion fehlen und das Mikromanagement nerven.

PS

Ich hoffe euch gefällt auch dieser Eintrag ins Brettspiel-Retro-Archiv! Habt ihr Domain vielleicht auch schon einmal gespielt? Dann kommentiert doch gerne mit euren Erlebnissen und Einschätzungen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an die Discord-Community von Moritz Mehlem, die mich mit ein paar Infos zu Hobby Products versorgt hat!

Was wollt ihr als nächstes: lieber wieder Fantasy oder doch noch mal Science Fiction? Schreibt es in die Kommentare!

Euer Daniel

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